Patagonien

Fast drei Monate sind seit meinem letzten Eintrag vergangen. Drei Monate voller schöner Begegnungen, Impressionen, unvergesslicher Augenblicke zwischen Puerto Montt und Punta Arenas.

Entlang der noch abenteuerlichen Carretera Austral, unter hängenden Gletschern, in versteckten Fjorden, mit reißenden Flüssen, im Schutz tausender Jahre alter Baumriesen, beim Mate-Tee trinken mit argentinischen Grenzbeamten…

Die vergangenen zwei Wochen waren wir zu viert unterwegs, mit unseren lieben Freunden Romeo und Noemi aus Österreich, die uns besuchten, um einige Erlebnisse zu teilen.

Gregor und ich kamen in Patagonien immer wieder an Orte, wo wir ausriefen: „Das wollen wir ihnen zeigen, wenn sie da sind!“ Einige Menschen und Plätze schlossen wir so sehr ins Herz, dass ein Wiederkommen auf dieser Reise trotz manchmal unvorstellbar schlechter Verkehrsverbindungen fast selbstverständlich war. Es waren Begegnungen, die uns berührten, die uns bei unserer Arbeit (mir vor allem bei der Entstehung meines Dokumentarfilms) halfen, oftmals wie unter langjährigen Freunden.

Da Busfahren und Autostoppen in Patagonien zu viert ein eher zeitaufwendiges Unterfangen sein kann, liehen wir für einige Tage ein Auto aus, um von Coyhaique aus, der größten Stadt des Südens, erneut den Parque Pumalin zu besuchen und die bis zu 3000 Jahre alten Alerce-Bäume zu bestaunen. In Pumalin hatten wir um Neujahr eine ganze Woche verbracht, und so war der Besuch wie ein Heimkommen. Wir besuchten wieder die lieben Menschen in Caleta Gonzalo (wo es einen der schönsten Camping-Plätze der Welt gibt!!!), die uns bereits zuvor mit offenen Armen zum Mate trinken eingeladen hatten, saßen am Kaminfeuer im gemütlichen Restaurant, das wie die anderen Gebäude im Park komplett aus recyceltem Holz gebaut wurde, und beobachteten frühmorgens Delfine in der Bucht des Fjordes. Der Park war für über zwei Jahre geschlossen gewesen, da der unerwartete Ausbruch des Vulkans Chaiten die nahe gelegene Stadt mit demselben Namen mit einer 80 cm hohen Masse aus feuchter Asche verschüttet und die Straßen unpassierbar gemacht hatte. Bis heute gibt es in Chaiten kein fließend Wasser und keine Stromzufuhr! Die Bewohner sind teilweise auf eigene Faust wieder in ihre Häuser zurückgekehrt und sind ohne finanzielle Hilfe tatkräftig dabei, ihre Heime wieder aufzubauen bzw. auszugraben. Am 15. Dezember hat der Pumalin Park wieder seine Pforten geöffnet. Welch ein Unterschied zu anderen Parks des Landes, die liebevoll geschnitzten Schilder, gut begehbaren Wege, ästhetischen Holzhäuschen… Kurzum, Pumalín ist jederzeit eine Reise wert, trotz der 7 Meter Jahresniederschlag! Und vielleicht sind andere ja auch solche Glücksschwammerl wie wir, und erleben bei ihren Besuchen (beide Male!!!) Sonnenschein, strahlend blauen Himmel, Vollmond und sternenklare Nächte. Die Alercebäume (ähnlich den kalifornischen Redwood Trees oder auch den Zypressen, nur noch gigantischer und majestätischer) sind auch bei Regen beeindruckend, doch in anderen Regionen nur auf mühseligen Wanderungen zu erreichen. Wie zum Beispielauf unserer versuchten Pass-Überquerung am Heiligabend von Río Puelo nach Hornopirén im strömenden Regen, auf der wir wieder umgekehrt hatten, da die fehlenden Wegmarkierungen ein Weiterkommen mit dem großen Rucksack nur schwer möglich gemacht hatte.

Im Pumalín Park wachsen die Alerce Bäume bis an die Schotterstraße heran. Es heißt, Douglas Tompkins hätte bei einer seiner vielen Chile-Reisen Holzchips gesehen und daneben die riesigen geschlägerten Alerce-Stämme. Als man ihm sagte, dass sie in Japan zu Computerpapier verarbeitet werden, verkaufte er buchstäblich von einem Tag auf den anderen seine beiden Firmen Northface und Esprit um sich zusammen mit seiner Frau Kris der Erhaltung von Biodiversität zu widmen. Und das tun die beiden unterstützt von vielen anderen engagierten Menschen seit nunmehr 20 Jahren. Derzeit arbeiten sie an der Errichtung des zukünftigen Patagonia Nationalparks, der die frühere und ziemlich überweidetet Estancia Chacabuco und zwei angrenzende Naturreservate einschließen wird. (www.parquepumalin.cl, www.conservacionpatagonica.org)

Ich besuchte Chacabuco auch zweimal, um mehr über den Entwicklungsprozess eines Nationalparks und die Herausforderungen zu lernen, ökologische und soziale Interessen mit ausschließlich wirtschaftlichen zu verbinden bzw. die Sinnhaftigkeit letzterer in Frage zu stellen.

Entlang der legendären und kaum asphaltierten Carretera Austral, die Puerto Montt mit Villa O’Higgins verbindet – lediglich unterbrochen im Pumalín Park, da die steilen Abhänge und vielen Inseln und Fjorde den Bau einer Straße unmöglich machen – hatten Gregor und ich zuvor viel Auto gestoppt. Das geringe Verkehrsaufkommen in Kombination mit dem hohen Aufkommen israelischer Rucksacktouristen, die hierzulande nicht gerade beliebt sind, machte aus vierstündigen Autofahrten nicht selten lange Tagesetappen, von denen es ungewiss war, ob wir sie überhaupt bewältigen könnten.

So war es ein Erlebnis, die Schotterstraße, die einen eher unsanft aber doch in einen tiefen Schlaf wiegen kann, auch einmal selbst zu fahren. Romeo und ich wechselten einander ab und kamen uns ein bisschen wie Ralley-Fahrer vor. Von Coyhaique aus, wo durch Peters herzlichen Empfang eine „Home Base“ im Süden entstanden ist, ging es mit dem Bus weiter nach Puerto Bertrand, wo der türkisblaue und wasserreichste Fluss Chiles, der Río Baker, entspringt. Peter koordiniert die Kampagne gegen die Errichtung der Staudämme am Río Baker und am Río Pascua (www.patagoniasinrepresas.cl). Bei einer seiner morgendlichen und ausgiebigen Mate-Tee-Zeremorien hat er uns begeistert derartig viel vom Río Baker erzählt, dass wir viele Wochen an diesem Fluss verbracht haben. Durch ihn sind auch hier fantastische Begegnungen entstanden, und wieder wurden wir freudig und mit offenen Armen erneut willkommen geheißen. Mit Romeo und Noemi verbrachten wir die Nacht bei unserer lieben Freundin Marianne, die direkt am Zusammenfluss vom Río Baker mit dem Río Nef lebt, wo der Fluss zum ersten Mal seine Farbe merklich wechselt. Begleitet vom Flussrauschen bei sternenklarem Himmel auf das Kreuz des Südens zu blicken – unbeschreiblich!

Von hier aus gelang es uns doch tatsächlich zu viert, Auto zu stoppen, und so fuhren wir am „Logenplatz“ auf der vollgeräumten Ladefläche eines Pick-Up, bis nach Cochrane, immer weiter den Fluss entlang. Am Steuer der deutsche Biologe Simon, der zusammen mit seiner bolivianischen Freundin Carolyn für seine Doktorarbeit auf Pflanzensuche war. Am nächsten Tag ging es weiter bis nach Villa O’Higgins. Die Straße führt erst seit 1999 bis hierher! Und am nächsten Tag wanderten wir zu Fuß über die Grenze von Chile nach Argentinien, den spitzen Gipfel des Fitz Roy vor uns, wo der argentinische Grenzbeamte uns auf Mate-Tee und Calafate-Likör einlud.

Ich hatte mich richtig auf Argentinien gefreut, doch welch ein Schock nach der abgelegenen Carretera Austral in El Chaltén einzutreffen, eine Stadt, die in den letzten Jahren, wie Gregor bemerkte, mindestens um ihr dreifaches gewachsen ist. Auch El Calafate war alles andere als ein verträumtes Nest. Die Stadt lebt ausschließlich vom Tourismus zum nahegelegenen und spektakulären Perito Moreno Gletscher, und so kamen Noemi und ich uns ein bisschen wie „wandelnde Geldbörserl“ vor.

Gestern saß ich in Puerto Natales, Ausgangspunkt zum berühmten Torres del Paine Nationalpark, wo wir zwei Tage verbrachten. Nach den anderen Wanderungen und Orten war es richtig ungewohnt, so viele Wanderer und Camper in einem Nationalpark zu treffen, doch hierher kommt nun einmal, wer in Patagonien wandern will. Die vielen anderen Orte, die wir in Patagonien besuchten, habe ich hier nicht alle beschrieben, denn ich bin ohnehin viel am Drehen und werde nach dieser Reise einen spannenden Film fertig stellen, in dem mehr zu sehen sein wird. In dem einige Menschen ihre bewegende Geschichte erzählen, persönliche Momente mit uns geteilt haben, und Kondore an reißenden Wasserfällen vorbei hinauf zu den Felsen fliegen.

Heute sitze ich in Punta Arenas, und werde in den nächsten Tagen wahrscheinlich zum Leuchtturm am südlichsten Punkt des amerikanischen Kontinents wandern. Dann habe ich Patagonien von Norden bis Süden gesehen und einen Teil dieser Welt ein bisschen besser kennen und vielleicht auch in Ansätzen verstehen gelernt.

Orte wie Coyhaique und Puerto Natales haben auch ohne Tourismus ein Eigenleben. Und ich frage mich, ob es nicht Möglichkeiten gibt, auch in den abgelegenen Regionen des Landes, wo hohe Arbeitslosigkeit herrscht, den so genannten „Öko-Tourismus“, der an den Universitäten von Santiago und Vina del Mar als Studienfach angeboten wird, auszubauen, ohne dass die Orte ihren Charakter verlieren. Die Natur in all ihrer Schönheit und unberechenbaren Kraft, wie sie heute noch in Patagonien existieren darf, weiter sein zu lassen ohne sie für Energiegewinnung für die Versorgung der Minen im tausende Kilometer entfernten Norden zu zerstören.

Dadurch, dass wir uns entschieden haben, uns auf dieser Reise Zeit zu nehmen, treffen wir immer wieder Menschen, die sich für den Erhalt dieser Einzigartigkeit einsetzen, einfach, weil ihnen daran etwas liegt. Diese Begegnungen inspirieren mich und wir können einander immer wieder Mut zusprechen und Kraft geben, wenn die Träume in weiter Ferne zu sein scheinen. Denn es ist nicht egal, ob der Fluss des Río Baker durch den Bau zwei Staudämme gestört wird, oder ob er weiterhin wild und ungezähmt fließen kann. Es ist den Menschen, die dort leben nicht egal, die gezwungen wären, ihr Land aufzugeben, den vielen Tieren, die dort leben, und es ist mir nicht egal, nachdem ich diesen Fluss ein bisschen erlebt habe, über zwei Stromschnellen geraftet bin und viele Stunden auf das einzigartige Blau geblickt habe.

Der Name Patagonien beschreibt wage eine Gebiet, dessen „Grenzen“ nicht definiert sind, wo es noch immer unerforschte Gebiete gibt. Ein Ort, der mich daran erinnert, wie gewaltig die Kraft dieser Erde ist und wie klein wir im Vergleich dazu doch sind. Und so bleibt Patagonien für mich ein Mythos, der mich zum träumen anregt und vielmehr noch: der mir zeigt, dass es wichtig ist, vertrauensvoll und beständig den Weg zu gehen, der für mich beruflich und persönlich der richtige ist und im Leben etwas zu tun – wie Douglas Tompkins mir in unserem Gespräch gesagt hat: „Wir müssen alle die Ärmel hochkrempeln, bevor es zu spät ist!“